Spitzbergen: Die Eislage bestimmt den Kurs

Nordwestspitzbergen, Juni 2022

Der Arktische Ozean umfasst etwa 15,5, Millionen km2. Zur Arktis zählen die nördliche Polkappe, das mehrheitlich von Eis bedeckte Nordpolarmeer und die nördlichen Ausläufer von Nordamerika, Asien und Europa. Vor rund 20.000 Jahren haben die Gletscher begonnen, sich zurückzuziehen. Das Nordpolarmeer ist in einem Umkreis von etwa 10 Grad um den Nordpol mit Eis bedeckt. Die Inselgruppe Svalbard (offizieller Name Spitzbergens) befindet sich im nördlichen Eismeer zwischen 76° 28´und 80° 48´nördlichen Breitengrad. Meiner Reise gingen große Erwartungen an schneebedeckte Berge, bizarre Eis-Formationen und zerklüftetes Packeis voraus. Es war eine großartige Reise, allerdings begann der Sommer in diesem Jahr ein Monat früher als sonst, was vor allem im Packeis und beim „Champagnerglas“ in Longyearbyen sichtbar wurde.

Kurs auf Spitzbergen

Wir hatten 424 nautische Meilen (785 km) zurückzulegen. Die See von Honningsvåg nach Spitzbergen war überraschend ruhig und der Tag verlief mit der obligatorischen AECO Naturschutzeinweisung, einem Geologie- und einem Ökologie-Vortrag äußerst inhaltsreich. Delfine begleiteten unseren Weg und planmäßig erreichten wir am späten Nachmittag die BÄRENINSEL. Mit 178 km2 liegt sie 235 km südlich von Spitzbergen und 400 km nordnordwestlich des norwegischen Festlandes. Seit 2002 ist sie ein Naturschutzgebiet und nur als Wetterstation bewohnt. Die im Durchmesser von 15 km eher kleine Insel besticht durch sehr zerklüftete, steil aufragende Felsen. Ursprünglich nicht vorgesehen, aufgrund des guten Wetters konnten wir aber eine schöne Zodiac (Schlauchboot)-Fahrt entlang der gigantischen Felsenformation unternehmen.

Spitzbergen oder Svalbard

61.022 km2 groß, 2.500 Einwohner, 3.000 Eisbären. Spitzbergen ist kontinuierlich in Bewegung. Vor 600 Millionen Jahren lag es beim Südpol und ist seither 15.000 km in Richtung Nordpol gewandert. Seit 1920 hat Norwegen die Souveränität über Spitzbergen. Rund um Spitzbergen wird jeder Kurs von der Eislage bestimmt. Spitzbergen oder besser gesagt Svalbard liegt 700 km von Hammerfest und 1.000 km vom Nordpol entfernt im nördlichen Eismeer. Dazugehörig sind fünf größere und mehrere kleinere Inseln. Im Sommer steigen die Temperaturen kaum über 15 Grad plus. Im Winter kann es bis zu minus 40 Grad Celsius sein, der Boden friert bis in 300 m Tiefe und die Inseln sind von Meereis umgeben. Es gibt keine Verkehrseinrichtungen wie Bahn-, Bus- oder regelmäßigen Inlandsflugverkehr, die traditionellen Fortbewegungsmittel sind Skidoos und Hundeschlitten. Die Boden-Bedingungen sind von Kälte geprägt, es ist aber auch sehr trocken, da es wenig Niederschlag gibt, der Bodenbewuchs aber durch Schneeschmelze entsteht. Häufig kommen Stromatoliten (Flechten) vor. Die Eisdecke schmilzt, aber nicht komplett und Risse entstehen (Permafrostböden). Die Gebirgszüge sind nur bis 1.000 Meter hoch, vereinzelt sind alte Vulkane sowie heiße Quellen zu finden. Fast 60 Prozent sind vergletschert (36.600 km2). Große Bedeutung erreicht Spitzbergen durch seine wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen und dem größten Labor der Welt.

 Wetter und Eis bestimmen den Kurs

Am späteren Vormittag (11. Juni) erreichten wir den HORNSUND, den südlichsten Fjord Spitzbergens, und drangen erstmalig auf unserer Reise ins Eis vor. Es war geplant den südlichen Spitzbergen-Teil zu erkunden, bevor wir am Nachmittag bei Gåshamna anlandeten. Der ganze Fjord war voll mit zerrissenen Eisschollen. Die ersten Zebraberge kamen in Sicht (dunkle, schroffe Gebirgszüge, die mit dem verbleibenden Schnee an Zebras erinnern). Belugawale schwammen langsam neben dem Schiff und ließen sich von uns nicht stören. Wir hielten nach Robben Ausschau, konnten aber keine entdecken. Was auf der gesamten Reise leider selten vorkam Robben zu entdecken. Hier verlief die Besichtigung wie bei allen weiteren Anlandungen: Zuerst erkundeten die Eisbärenwächter das Gelände, dann verteilte sich das Field Staff Team und erst danach durften die ersten Schlauchboote mit Gästen folgen. Gåshamna präsentierte sich als weitläufige offene Bucht mit Überresten vom Walfang und einer der ersten großen internationalen Forschungsexpeditionen in der Arktis.

 

Noch am frühen Abend nahmen wir Kurs (175 nM/324 km entfernt) auf Ny-Ålesund auf. Die Tage und Nächte sind fast gleich hell, Sonnenaufgang- und Untergang entfällt um diese Jahreszeit und so war es auch in den frühen Morgenstunden möglich die Fahrt in den Kongfjord zu erleben und während des Frühstücks am 12. Juni die Anfahrt bei Ny-Ålesund zu beobachten.

NY-ÅLESUND ist ein internationales Zentrum der Arktis-Forschung. Der Ort wurde Ausgangspunkt zahlreicher Polarexpeditionen, von hier brach der Polarforscher Roald Amundsen zum Nordpol auf. Später wurde Kohle abgebaut, die nördlichste Gemeinde der Welt (78°56´N 11°56´O) ist aber heute ein bedeutendes Zentrum für Polarforschung. Die Forschungsstation ist hochmodern und liefert Beobachtungen und Forschungsaktivitäten von mehr als 20 Forschungseinrichtungen aus aller Welt mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaft. Ein kleines Museum gibt einen profunden Überblick über das einstige Leben und Arbeiten der Bewohner. Die Siedlung mit 40 Bewohnern im Winter (im Sommer 100) wirkt mittlerweile etwas verschlafen, auch ein Rentier zeigte kein Interesse an den Besuchern und ließ sich beim Grasen nicht stören. Unbedingt zu besuchen ist auf jeden Fall der Mast, an dem die Luftschiffe für die Expeditionen starteten und das nördlichste Postamt der Welt. Die versendete Postkarte ist zuhause sehr rasch angekommen.

Von nun an standen die großen Gletscher auf dem Programm und wir erreichten nach 17 nautische Meilen die 14. Juli Bucht (Fjortende Julibukta) mit dem 14. Juli Gletscher (Fjortende Juli-Breen). Dieses blau schimmernde Naturwunder mit einer Fläche von rund 81 km2 wälzt sich entlang einer drei Kilometer breiten Gletscherfront ins Meer. Mit den Zodiacs waren wir rasch am Ufer der Bucht und konnten relativ nahe an den Gletscher spazieren. Er verhielt sich freundlicherweise sehr ruhig und kalbte nicht.

Vom Woodfjord in den Bockfjord und weiter in den Liefdefjord

Bizarr ist das einzig richtige Wort für die Landschaft, die sich uns in jedem weiteren Fjord erschloss. Morgens am 13. Juni erreichten wir Jotunkjeldene/Vulkanhamna. Warme Quellen und Sinterterrassen waren hier einst Anziehungspunkt, deren Reste nach einem kleinen Aufstieg auch noch zu besichtigen sind. In der Umgebung des Bockfjords sind ebenso noch lauwarme Quellen bei der Ruine des jungquartären Vulkans Sverrefjellet zu finden.

 

Abwechslungsreich und interessant anzuschauen entpuppt sich der Liefdefjord am Eingang des Woodfjords, der 13 km breit beginnt und bei etwa 5 km mit seiner gesamten Länge mit dem Monaco Gletscher endet.

Monacobreen

Einzigartig. Gigantisch. Faszinierend. Es ist leicht ins Schwärmen zu geraten. Dieser Ort mit diesem riesigen Gletscher, der nach Fürst Albert I von Monaco benannt wurde, ist nahezu unbeschreiblich schön. Rund ums Schiff schwammen große und kleine Eisschollen. Vor uns lag die fünf Kilometer lange und 40 Meter hohe Abbruchkante des Gletschers, zusammen mit dem Seligerbreen. In einem Schlauchboot langsam und bedächtig zwischen den Eisbergen dahingleitend, fuhren wir im Schlauchboot entlang des Gletschers einen großen Teil der Bucht ab. Auf einzelnen Schollen waren Vögel zu entdecken, die trotz Touristen“Ansturm“ nicht davonflogen.

Mit einem Glas Champagner ging dieser wunderbare Ausflug zu Ende und unser Schiff machte sich auf den Weg zur Mini-Insel MOFFEN. Dieses Naturreservat ist streng geschützt, ein Anlegen ist zwischen Mai und September nicht möglich, verweilt doch eine Gruppe Walrosse an der Südspitze der winzigen Insel. Bei 300 Meter Entfernung sind sie mit freiem Auge teilweise als Hügel erkennbar, einige Walrosse konnten wir im Wasser tauchend und prustend eifrig nach Muscheln suchend entdecken.

Bei der Antarktis-Reise vor zwei Jahren wurden wir von der Tierwelt sehr verwöhnt. Bei dieser Reise hielten sich die zufällig auftauchenden Genossen mengenmäßig vornehm zurück. Als dann aber doch der erste große Wal in unmittelbarer Nähe des Schiffes gesichtet wurde und sogar genau unter meinem Balkon auftauchte, war die Freude sehr groß. Er drehte mehrmals seine Pirouetten, drehte sich und zeigte sich recht ordentlich aus dem Wasser. Ein tolles Erlebnis.

An die Grenze zum Packeis

Die Dichte der Pack- oder Treibeisbedeckung wird in Zehntel im Verhältnis zur freien Meeresoberfläche angegeben und bestimmt maßgeblich die Befahrbarkeit der jeweiligen Gewässer mit einem Schiff. Auf unserer Reise kamen wir dem Nordpol bis auf ca. 1.000 Kilometer ziemlich nahe. Überraschend war, dass es keine durchgehende Eisgrenze gab und Eisschollen teilweise weit auseinanderdrifteten. Eisbären leben normalerweise rund 200 Meilen entfernt vom Land. Rund um Svalbard gibt es geschätzt eine Population von 2.000 Eisbären.  Die Vorstellung bzw. der Wunsch, dass Eisbären auf uns warten und sich filmreif bzw. kameratauglich auf einer Eisscholle aufhalten, wurde uns leider versagt. Spuren gab es genügend, was bewies, dass es sie doch noch gibt.

Ein männliches Tier wird ca. 2,60 Meter groß, weibliche Tiere sind etwas kleiner. Eisbären können sich sehr rasch, an die 8 km pro Stunde bewegen. Sie sind ausgezeichnete Schwimmer, auch über lange Distanzen. Die Hauptnahrung sind Ringelrobben. Der Geruchssinn ist ausgezeichnet und Beute kann sogar unter Schnee aufgespürt werden.

Ich konnte mich kaum stattsehen an der unglaublichen Weite. Soweit ich schauen konnte, war Eis bzw. waren Eisschollen zu erblicken. Aber wir mussten unsere Fahrt fortsetzen und ein köstliches Abendessen erwartete uns auch – welches aber aufgrund einer Eisbär-Meldung erfreulicherweise unterbrochen wurde. Endlich in natura. Ein männliches Tier bewegte sich rasch über Geröll und Eis und bewegte sich kilometerlang parallel zu unserer Fahrtrichtung am Land. Etwa 20 Minuten machte er uns die Freude ihn trabend und im Schnee wälzend beobachten zu können. Die Ausbeute von fast 100 Fotos machte es mir wirklich schwer, die besten Motive auszuwählen.

 

 

Specköfen, Walrosse und noch ein Wal

Am 15. Juni kamen wir zur Insel AMSTERDAMOYA, wo eine Anlandung im Bereich des Smeerenburgfjords geplant war. Smeerenburg (Speckstadt) war eine wichtige Walfangstation und zählt zu den bekanntesten Kulturdenkmäler Spitzbergens. Die Reste der Specköfen sind heute noch am Strand zu sehen, waren aber ehrlicherweise nicht so interessant wie die zahlreichen Walrosse, denen wir uns nähern und sie ausgiebig beobachten konnten. Nach 1,5 Stunden war für meinen Landgang auch dieses Abenteuer vorbei, ging es doch nach Gravnesodden mit einem Landgang in der Magdalenenbucht weiter und so beobachtete ich vom Schiff aus die restlichen ankommenden Schlauchboote, als ich zuerst auf der Backbordseite einen recht großen Wal auftauchen sah. Anscheinend war er allein, drehte für mich einige Runden, schwamm dann auf die Steuerbordseite und tauchte unter.

Aber ein Highlight toppte das Nächste. Erstmal war Lunch-time und wie oft zuvor traf ich mich mit Freunden trotz Minusgraden im Outdoorbereich des Restaurants. Diesmal konnten wir uns aber nicht lange an den Köstlichkeiten erfreuen, wurden wir doch von der Brücke benachrichtigt, auf Backbord zwei Eisbären auf ihrer Wanderung zu bestaunen. Diese Information hörten wir gerne und konnten ihren Weg fast 30 Minuten miterleben und es war faszinierend zu sehen, wie tüchtig sich das kleine Kerlchen hinter der Mutter im steilen wie flachen Gelände bewegte.

Magdalenefjord

Dieser Küstenabschnitt steht unter dem Einfluss des Golfstroms und ist während des Jahres meist zugänglich und friert im Winter nicht regelmäßig zu. In der kleinen Bucht TRINITYHAMNA hinter der Halbinsel GRAVNESET gibt es einen gut geschützten Ankerplatz. Nach der Anlandung (noch immer am 15. Juni) war eine kleine Wanderung entlang der Bucht, wo sich zwei Robben aufhielten, auf eine kleine Anhöhe möglich. Die Field Staffs bei einzelnen Stationen hatten Interessantes zu berichten und so wurde die Rückfahrt zum Schiff etwas ausgedehnt. Ein ankommendes Zodiac war für die Überfahrt geplant, wurde aber umgeleitet und blitzartig wurde eine Evakuierung der Landzunge angeordnet, da Eisbären-Mama mit Eisbären-Kind vom Festland auf unsere Insel schwammen und unsere Bucht besuchen wollten. Exakt dort, wo wir kurz zuvor gegangen und gestanden sind, spazierten die beiden (die wir zwei Stunden zuvor beobachteten) in aller Ruhe des Weges, bis sie in der Ferne auf der anderen Seite der Bucht aus unserem Blickfeld verschwanden. Großartig zu sehen, wie schnell sie sich fortbewegten (rund 6 bis 8 km pro Stunde) und wie gut das Eisbären-Kind der Mutter (wird immerhin bis zu 2,40 Meter groß) folgen kann. Es war enorm aufregend.

Walrosse beobachten  

Der 16. Juni stand ganz im Zeichen eines „Zoobesuchs“, als wir nach 129 nautische Meilen (239 km) Fahrt nach POOLEPYNTEN/Prins Karls Forland, eine langgestreckte, unbewohnte Insel (86 km lang, zwischen 5 und 11 km breit) an der Westküste von Svalbard, kamen. Das Gewässer ist flach und ideal für eine große Gruppe ansässiger Walrosse, die wir in unmittelbarer Nähe beobachten konnten. Die meisten lagen zuerst nur bewegungslos herum und erinnerten eher an riesige Steine. Etwas Bewegung kam erst in die Herde, als einige Walross-Männer mit ihren langen, kräftigen Stoßzähnen vom eifrigen Muschelsuchen im Meer zur Gruppe retour kamen. Schon ziemlich beeindruckend. In beträchtlicher Entfernung wurde auch ein Polarfuchs gesichtet, der aber sehr schnell wieder weggelaufen ist.

Tryghamna / Alkhornet

Nach 39 nautische Meilen (90 km) erreichten wir als letzte Station den „Sicheren Hafen“, den Fjord TRYGHAMNA und erklommen eine Anhöhe des steil aufragenden, zerklüfteten ALKHORNET– bekannt als Vogelparadies. Am Fuße des Berges erstreckt sich die Tundra mit zahlreichen grasenden Rentieren. Ruhig und windig zeigt sich sich die weitläufige Area. Mit bloßem Auge kann man auf das russisch besiedelte Barentsburg auf der anderen Seite des Isfjords blicken.

Longyearbyen

Die Einfahrt in den Isfjord und dem Hafen von LONGYEARBYEN (17.8.) um 7 Uhr früh war insofern spannend, musste ich doch nach dem „Champagnerglas“ Ausschau halten. Zwischen zwei Bergrücken hält sich jährlich der Schnee lange, wobei mit Sommerbeginn im Grat der Schnee nur noch ein schmales Band ist und wie ein Champagnerglas erscheint. Je schneller der Schnee schmilzt, desto sichtbar brüchiger wird der Stiel des Glases. Der restliche Schnee war als Glas noch gut sichtbar, der Stiel verlor aber im Laufe des Tages etwas an Festigkeit. Die rasche Schneeschmelze wurde deutlich sichtbar. Longyearbyen ist der Verwaltungssitz des gesamten Inselarchipels mit rund 2.000 Einwohnern. Die typischen Bewohner sind zwischen 25 und 35 und weiblich. Viele Jahre war Longyearbyen interessant für den Kohlenabbau, inzwischen gibt es nur noch eine Grube, die hauptsächlich der Versorgung des eigenen Kraftwerkes dient. Heute lebt Longyearbyen vom Tourismus und der Forschung.

Nach insgesamt 3.020 nautischen Meilen (5.593 KM) ging diese unglaubliche Reise zu Ende. Ich hatte das Glück, einen spektakulären, neuen Teil der Welt zu sehen, Eisbären in freier Wildnis zu beobachten, eine kontinuierliche, ruhige See zu erleben und diese Erfahrungen mit großartigen ReisebegleiterInnen zu teilen.

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